Krebs und Mundgesundheit – Die unterschätzte Verbindung
Chronische Entzündung gilt als stiller Motor vieler Zivilisationserkrankungen – auch für Krebs. Neuere Studien zeigen, dass Parodontitis und orale Dysbiose nicht nur mit Herz- und Stoffwechselerkrankungen, sondern auch mit verschiedenen Krebsarten in Verbindung stehen. Die Orale Medizin versteht diese Zusammenhänge als Schlüssel zur Prävention und Früherkennung.


Krebs entsteht selten plötzlich. Er entwickelt sich über Jahre, getrieben von Entzündung, oxidativem Stress und Störungen des Immunsystems. Die Forschung belegt, dass chronische Entzündungen im Mund, wie sie bei Parodontitis auftreten, genau diese Mechanismen aktivieren und damit das Risiko für bestimmte Krebsarten erhöhen (Tezal, 2009).
Parodontitis ist eine bakterielle Infektion, die das Zahnfleisch und den Kieferknochen betrifft. Ihre Pathogene – insbesondere Porphyromonas gingivalis und Fusobacterium nucleatum – produzieren Toxine, die Immunreaktionen aktivieren und eine dauerhafte Entzündung verursachen. Diese Entzündungsbotenstoffe, darunter Interleukin-6, TNF-α und C-reaktives Protein, wirken systemisch und fördern Zellstress, DNA-Schäden und Fehlregulationen der Zellteilung (Michaud, 2017).
Epidemiologische Studien zeigen, dass Menschen mit Parodontitis ein höheres Risiko für verschiedene Krebsarten aufweisen – insbesondere für Pankreas-, Brust-, Darm- und Kopf-Hals-Tumoren (Nwizu, 2020). Die stärkste Assoziation besteht zwischen Parodontitis und Pankreaskarzinom: Eine Langzeitstudie der Harvard School of Public Health zeigte, dass Patienten mit fortgeschrittener Parodontitis ein bis zu doppelt so hohes Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs hatten (Michaud, 2007).
Die Mechanismen sind komplex, aber biologisch nachvollziehbar. Zum einen gelangen bakterielle Bestandteile und Entzündungsmediatoren über die Blutbahn in andere Organe. Zum anderen beeinflussen orale Bakterien die lokale Mikroumgebung von Geweben. Fusobacterium nucleatum wurde in Kolonkarzinomen nachgewiesen, wo es das Tumorwachstum durch die Aktivierung onkogener Signalwege fördert (Kostic, 2013). Ähnliche Zusammenhänge zeigen sich bei Brust- und Speiseröhrenkrebs, wo orale Keime immunmodulierend wirken und das Mikrobiom des Tumorgewebes verändern.
Darüber hinaus spielt das Immunsystem eine entscheidende Rolle. Chronische Entzündung führt zu einer dauerhaften Aktivierung von Immunzellen, die freie Radikale freisetzen und gesunde Zellen schädigen. Gleichzeitig schwächt die anhaltende Entzündung die Immunüberwachung, die normalerweise entartete Zellen eliminiert. Dieser Zustand – „Inflammation-induced Immunosuppression“ – schafft ein biologisches Umfeld, das Tumorentstehung begünstigt (Greten, 2019).
Die Orale Medizin nutzt dieses Wissen für Prävention und Risikoreduktion. Durch mikrobiologische Tests, Entzündungsdiagnostik und regelmäßige professionelle Zahnreinigung lassen sich bakterielle Belastung und systemische Entzündungsmarker kontrollieren. Studien zeigen, dass eine erfolgreiche Parodontitistherapie Entzündungswerte senkt und potenziell das Risiko für systemische Erkrankungen reduziert (Tonetti, 2013).
Ein weiterer präventiver Aspekt ist das orale Mikrobiom. Eine stabile bakterielle Vielfalt schützt vor pathogener Besiedlung und Entzündung. Ernährung, Vitamin D, Omega-3-Fettsäuren und Antioxidantien stärken die Immunfunktion und unterstützen die Regeneration der Schleimhäute.
Patientinnen und Patienten mit erhöhter Krebsdisposition – etwa familiärer Belastung oder bestehender Tumorerkrankung – profitieren besonders von einem gesunden oralen Milieu. Chemotherapien und Bestrahlungen verändern häufig die Schleimhautflora, was sekundäre Entzündungen fördert. Eine gezielte orale Prophylaxe kann diese Nebenwirkungen mindern und die Lebensqualität verbessern (Hong, 2010).
Die Orale Medizin ist damit Teil einer modernen onkologischen Präventionsstrategie. Sie versteht Entzündung als zentrale Schnittstelle zwischen Zahnmedizin, Immunologie und Krebsforschung. Wer Entzündungen im Mund kontrolliert, senkt nicht nur das Risiko für Zahnverlust – sondern auch das für systemische Erkrankungen, bis hin zur Tumorentstehung.
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Tezal et al. (2009): Chronic periodontitis and the risk of head and neck squamous cell carcinoma. Cancer Epidemiology, Biomarkers & Prevention.
Michaud et al. (2007): Periodontal disease, tooth loss, and cancer risk in male health professionals. The Lancet Oncology.
Michaud et al. (2017): Oral health and risk of cancer. JAMA Oncology.
Nwizu et al. (2020): Periodontal disease and incident cancer risk. Cancer Epidemiology, Biomarkers & Prevention.
Kostic et al. (2013): Fusobacterium nucleatum infection and colorectal cancer. Science.
Greten et al. (2019): Inflammation and cancer: triggers, mechanisms, and consequences. Immunity.
Tonetti et al. (2013): Periodontitis and atherosclerotic cardiovascular disease. Journal of Clinical Periodontology.
Hong et al. (2010): The role of oral care in cancer therapy. Supportive Care in Cancer.
