Entzündungsmediatoren – Die stille Sprache der Zellen
Entzündung ist die gemeinsame Sprache vieler chronischer Erkrankungen. In der Oralen Medizin ist sie das verbindende Element zwischen Mund und Körper. Die Analyse der Entzündungsmediatoren macht sichtbar, wie lokale Prozesse im Zahnfleisch systemische Auswirkungen auf Herz, Gehirn, Stoffwechsel und Immunsystem haben – und warum Parodontitis oft der erste Ausdruck einer stillen Entzündung ist.


Entzündung ist kein Symptom, sondern ein biologisches Programm. Sie dient der Abwehr, der Heilung und der Anpassung. Wenn dieser Mechanismus chronisch aktiviert bleibt, wird er zum Motor von Alterung und Krankheit. In der Mundhöhle lässt sich dieses Prinzip besonders gut beobachten. Parodontitis, Periimplantitis oder Gingivitis sind sichtbare Zeichen eines entzündlichen Überdrucks, der weit über den Mund hinaus wirkt.
In der oralen Schleimhaut treffen mehr als 700 Bakterienarten auf Immunzellen, Gefäßsystem und Nervenbahnen. Kommt es zur Überbesiedlung pathogener Keime, reagiert das Immunsystem mit einer Entzündung. Dabei werden Zytokine wie Interleukin-1β, Interleukin-6, Tumornekrosefaktor α und Prostaglandin E₂ ausgeschüttet. Diese Moleküle aktivieren Abwehrzellen, steigern die Gefäßdurchlässigkeit und rufen Fieber-ähnliche Reaktionen hervor (Bartold, 2019).
Bleibt der Reiz bestehen, verändert sich das Entzündungsprofil. Aus einer akuten Reaktion wird ein chronisches Geschehen, in dem dieselben Mediatoren auf niedrigem Niveau dauerhaft aktiv bleiben. Dieses Muster – die „stille Entzündung“ – gilt heute als einer der wichtigsten Treiber für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, neurodegenerative Prozesse und beschleunigte Alterung (Franceschi, 2018).
Im Mund lassen sich diese Veränderungen messen. Gingivale Flüssigkeit, Speichel oder Blut enthalten spezifische Marker wie C-reaktives Protein (CRP), Matrix-Metalloproteinasen (MMP-8, MMP-9) und das Verhältnis von RANKL zu Osteoprotegerin, das über Knochenabbau und Gewebsregeneration entscheidet (Sorsa, 2016). Ein Anstieg dieser Werte zeigt, dass lokale Entzündung in systemische Aktivierung übergeht.
Die Forschung spricht hier von der „Oral-Systemic-Axis“ – der Verbindung zwischen oraler und systemischer Entzündung. Über Blutgefäße und Immunmediatoren gelangen bakterielle Toxine, Lipopolysaccharide und Zytokine in den gesamten Körper. Sie aktivieren Endothelzellen, fördern die Bildung freier Radikale und erhöhen den oxidativen Stress. In Studien korrelieren erhöhte CRP-Werte bei Parodontitis-Patienten mit einem deutlich höheren Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall (Tonetti, 2013).
Auch im Gehirn finden sich Spuren dieser Entzündungsprozesse. Mikrogliazellen, die Immunzellen des zentralen Nervensystems, reagieren sensibel auf systemische Signale. Chronisch erhöhte Entzündungswerte im Blut aktivieren Mikroglia, fördern neuroinflammatorische Prozesse und werden mit kognitivem Abbau in Verbindung gebracht (Leira, 2017).
Die Orale Medizin nutzt moderne Diagnostik, um diese Mechanismen sichtbar zu machen. Durch Speichel- und Blutanalysen können Entzündungsmarker, bakterielle Belastung und Immunbalance bestimmt werden. Das erlaubt eine individualisierte Therapie, die nicht nur Symptome behandelt, sondern Ursachen reguliert. Ziel ist es, den Entzündungsdialog zwischen Mund und Körper zu unterbrechen.
Therapeutisch bedeutet das: Kontrolle des oralen Biofilms, Reduktion pathogener Keime, Stabilisierung des Mikrobioms, entzündungshemmende Ernährung und gezielte Unterstützung der Regenerationsmechanismen. Antioxidantien, Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren wirken dabei als natürliche Entzündungsmodulatoren (Calder, 2020).
Patientinnen und Patienten erleben die Effekte oft unmittelbar. Nach erfolgreicher Parodontitisbehandlung sinken systemische Entzündungswerte, Blutdruck und Blutzucker stabilisieren sich, das Immunsystem reagiert ausgeglichener. Diese Veränderungen lassen sich messen – sie sind Ausdruck einer tiefen biologischen Entlastung.
Entzündung ist kein lokales Ereignis, sondern eine systemische Sprache der Zellen. Wer sie versteht, kann früh eingreifen, bevor Krankheit sichtbar wird. Die Orale Medizin übersetzt diese Sprache – mit Diagnostik, Präzision und Therapie, die weit über den Mund hinaus wirken.
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Bartold et al. (2019): An appraisal of the role of specific cytokines in periodontal disease. Journal of Clinical Periodontology.
Franceschi et al. (2018): Inflammaging and its implications for systemic health. Nature Reviews Endocrinology.
Sorsa et al. (2016): Matrix metalloproteinases in oral diseases. Critical Reviews in Oral Biology and Medicine.
Tonetti et al. (2013): Periodontitis and atherosclerotic cardiovascular disease. Journal of Clinical Periodontology.
Leira et al. (2017): Oral infections and cognitive decline. Frontiers in Aging Neuroscience.
Calder et al. (2020): Omega-3 fatty acids and inflammation. Nutrients.
