Arthritis und Autoimmunität – Wenn orale Keime Gelenke entzünden

Chronische Entzündungen im Mund können weitreichende Folgen für das Immunsystem haben. Neuere Forschung zeigt, dass bestimmte Bakterien, die Parodontitis auslösen, Autoimmunreaktionen im Körper aktivieren und Gelenkentzündungen verstärken. Die Orale Medizin betrachtet die Mundgesundheit daher als Schlüsselfaktor bei der Prävention und Behandlung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen.

Rheumatoide Arthritis ist eine systemische Autoimmunerkrankung, die Millionen Menschen betrifft. Sie entsteht, wenn das Immunsystem körpereigene Strukturen angreift und chronische Entzündungen in Gelenken auslöst. Weniger bekannt ist, dass die Mundgesundheit dabei eine zentrale Rolle spielt. Studien zeigen, dass Parodontitis und Arthritis häufig gemeinsam auftreten und sich gegenseitig verstärken (Rosenstein, 2004).

Der gemeinsame Nenner ist die Entzündung. Bei beiden Erkrankungen sind die gleichen Immunmediatoren aktiv: Interleukin-1β, Interleukin-6, Tumornekrosefaktor α und C-reaktives Protein. Diese Botenstoffe fördern Gewebeabbau, Schmerzen und Schwellungen. Eine chronische Zahnfleischentzündung wirkt wie ein permanenter Entzündungsreiz, der das Immunsystem in Alarmbereitschaft hält. Dadurch steigt die systemische Entzündungsbelastung, und Autoimmunprozesse können leichter entstehen oder verstärkt werden (de Pablo, 2009).

Ein entscheidender Mechanismus ist die bakterielle „Mimikry“. Einige orale Erreger, insbesondere Porphyromonas gingivalis, besitzen Enzyme, die körpereigene Proteine verändern. Sie führen eine sogenannte „Citrullinierung“ von Peptiden herbei – eine chemische Veränderung, die das Immunsystem als fremd interpretiert. Der Körper bildet daraufhin Antikörper gegen diese citrullinierten Proteine, die sogenannten ACPA (Anti-Citrullinated Protein Antibodies), welche charakteristisch für die rheumatoide Arthritis sind (Wegner, 2010).

Dieser Mechanismus verbindet Mund und Gelenke über das Immunsystem. Es ist daher nicht verwunderlich, dass bei vielen Patienten mit rheumatoider Arthritis dieselben bakteriellen DNA-Sequenzen im Mund und in der Gelenkflüssigkeit nachgewiesen wurden (Moen, 2006). Parodontitis kann so zum stillen Entzündungsherd werden, der die Aktivität der Arthritis aufrechterhält oder verschlimmert.

Die klinische Forschung belegt diese Zusammenhänge deutlich. Patienten, die eine systematische Parodontitistherapie erhielten, zeigten nicht nur eine Verbesserung der Mundgesundheit, sondern auch eine signifikante Reduktion der Entzündungsaktivität in den Gelenken (Sjöström, 2010). Die Werte für CRP und Rheumafaktor sanken messbar, die Beweglichkeit verbesserte sich, und viele benötigten geringere Dosen entzündungshemmender Medikamente.

Auch die Zusammensetzung des Mikrobioms spielt eine Rolle. Eine gesunde orale Flora trägt zur Immunbalance bei, während eine dysbiotische Flora – gekennzeichnet durch ein Übergewicht pathogener Keime – Entzündungsprozesse fördert. Eine regelmäßige Kontrolle und Stabilisierung des Mikrobioms kann so nicht nur Zahnverlust verhindern, sondern auch die systemische Entzündung dämpfen.

In der Oralen Medizin werden bei Patientinnen und Patienten mit rheumatischen Erkrankungen gezielt mikrobiologische und immunologische Tests durchgeführt. Sie liefern Informationen über bakterielle Belastung, Zytokinprofile und Immunreaktionen. Auf dieser Grundlage wird ein personalisierter Therapieplan erstellt, der sowohl lokale als auch systemische Entzündungen reduziert.

Ergänzend zur mikrobiellen Kontrolle wirken entzündungshemmende Ernährung, Vitamin D, Omega-3-Fettsäuren und eine gezielte Regulation der Darmflora. Die Wechselwirkung zwischen Mund, Darm und Immunsystem – die sogenannte „Oral-Gut-Immune-Axis“ – steht zunehmend im Fokus der Forschung (Hajishengallis, 2021).

Für Betroffene bedeutet das: Eine konsequente Mundgesundheit ist mehr als ein zahnmedizinisches Ziel – sie ist Teil einer ganzheitlichen Therapie gegen chronische Entzündung. Die Reduktion oraler Entzündungsherde kann die Lebensqualität spürbar verbessern, Schmerzen lindern und den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen.

Die Erkenntnis ist klar: Gelenke und Zahnfleisch sind über Entzündung und Immunsystem direkt verbunden. Wer die Entzündung im Mund kontrolliert, kann systemische Balance wiederherstellen – und damit Gesundheit dort fördern, wo sie beginnt.

Keywords
rheuma und zähne, entzündung gelenke mund, parodontitis rheuma, autoimmunerkrankung zähne, orale medizin, entzündungsdiagnostik, zahnarzt schleswig holstein, immunsystem und mundgesundheit, ganzheitliche zahnmedizin

Rosenstein et al. (2004): Association of periodontal disease and rheumatoid arthritis. Annals of the Rheumatic Diseases.
de Pablo et al. (2009): Association between periodontal disease and rheumatoid arthritis. Arthritis Research & Therapy.
Wegner et al. (2010): Porphyromonas gingivalis and citrullination in rheumatoid arthritis. Arthritis & Rheumatism.
Moen et al. (2006): Detection of oral bacteria in synovial fluid of arthritis patients. Clinical and Experimental Rheumatology.
Sjöström et al. (2010): Effect of periodontal treatment on rheumatoid arthritis disease activity. Journal of Clinical Periodontology.
Hajishengallis et al. (2021): Dysbiosis, inflammation, and immunity in rheumatoid diseases. Nature Reviews Rheumatology.