Alzheimer und Demenz – Die Oral-Brain-Axis
Das Gehirn beginnt im Mund. Chronische Entzündungen, Zahnverlust und Störungen im oralen Mikrobiom können über immunologische und neuronale Mechanismen zur Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen beitragen. Die Orale Medizin erforscht diese Verbindung – und zeigt, wie Zahngesundheit das Gehirn schützt.


Alzheimer ist keine reine Erkrankung des Alters, sondern das Ergebnis einer komplexen Interaktion zwischen Genetik, Entzündung, Gefäßen und Lebensstil. In den letzten Jahren hat sich ein neuer Faktor in den Fokus der Forschung geschoben: die Mundgesundheit. Studien zeigen, dass chronische Entzündungen im Mund das Risiko für Alzheimer und andere Formen der Demenz deutlich erhöhen (Leira, 2017).
Der Zusammenhang ist biologisch plausibel. Die Mundhöhle ist ein stark durchblutetes Areal, in dem Bakterien, Immunzellen und Entzündungsmediatoren ständig miteinander interagieren. Bei einer Parodontitis wird diese Balance gestört. Pathogene Keime wie Porphyromonas gingivalis und ihre Enzyme, sogenannte Gingipaine, gelangen über das Blut bis ins Gehirn (Dominy, 2019). Dort aktivieren sie Mikrogliazellen – die Immunzellen des zentralen Nervensystems – und lösen eine neuroinflammatorische Kaskade aus. Chronische Aktivierung dieser Zellen führt zu oxidativem Stress, Neuronenverlust und Ablagerungen von Beta-Amyloid, dem typischen Marker der Alzheimer-Erkrankung (Pritchard, 2017).
Auch der Zahnverlust spielt eine entscheidende Rolle. Zähne sind sensorische Organe, die über den Trigeminusnerv ständig Informationen an das Gehirn senden. Fehlen diese Reize, sinkt die neuronale Aktivität im Hippocampus – jenem Areal, das für Gedächtnis und Lernen verantwortlich ist. Langzeitstudien belegen, dass Menschen mit Zahnverlust ein höheres Risiko für kognitiven Abbau haben (Kondo, 2015).
Das orale Mikrobiom fungiert als Vermittler dieser Prozesse. Es beeinflusst Immunreaktionen, Stoffwechsel und die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn – die sogenannte Oral-Gut-Brain-Axis. Eine gestörte Mundflora begünstigt systemische Entzündung, die wiederum die Blut-Hirn-Schranke schwächt. Durchlässigere Gefäße ermöglichen es bakteriellen Komponenten und Entzündungsmediatoren, ins zentrale Nervensystem zu gelangen (Miklossy, 2011).
Auch vaskuläre Mechanismen sind beteiligt. Parodontitis fördert Arteriosklerose und endotheliale Dysfunktion, was die Durchblutung des Gehirns beeinträchtigt. Diese Minderversorgung führt zu Sauerstoffmangel und Energieverlust der Nervenzellen – ein idealer Nährboden für degenerative Veränderungen.
Die Orale Medizin nutzt diese Erkenntnisse präventiv. Durch mikrobiologische Diagnostik, Entzündungsanalysen und funktionelle Untersuchungen lassen sich Risikofaktoren früh erkennen. Die Behandlung chronischer Parodontitis senkt systemische Entzündungswerte und verbessert nachweislich die kognitive Leistungsfähigkeit (Ide, 2016). Prävention beginnt im Mund – und sie beginnt lange bevor erste Symptome des kognitiven Abbaus auftreten.
Auch funktionelle Rehabilitation spielt eine Rolle. Eine stabile Okklusion und eine aktive Kaumuskulatur erhöhen die neuronale Durchblutung. Studien zeigen, dass regelmäßige Mastikation den Hippocampus stimuliert und kognitive Funktionen verbessert (Onozuka, 2002). Der Mund wird so zu einem biologischen Trainingsfeld für das Gehirn.
Darüber hinaus zeigen Forschungen, dass eine entzündungsfreie Mundhöhle die systemische Entlastung des Immunsystems fördert. Wenn die chronische Aktivierung durch orale Bakterien entfällt, sinken neuroinflammatorische Signale im gesamten Körper. Dieser Effekt wird zunehmend als Baustein der modernen Longevity-Medizin betrachtet: Gehirngesundheit durch Entzündungsfreiheit.
Die Oral-Brain-Axis beschreibt damit keine Hypothese, sondern eine biologische Realität. Der Mund steht in direktem Dialog mit dem Gehirn – über Nerven, Blutgefäße, Immunmediatoren und Mikrobiota.
Wer diesen Dialog versteht, kann Prävention neu definieren. Die Pflege des Mundes ist Schutz des Gehirns. Die Therapie von Entzündungen ist zugleich eine Therapie gegen kognitiven Abbau. Und die Wiederherstellung funktioneller Balance ist ein Beitrag zu mentaler Langlebigkeit.
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Leira et al. (2017): Oral infections and cognitive decline. Frontiers in Aging Neuroscience.
Dominy et al. (2019): Porphyromonas gingivalis in Alzheimer’s disease brains. Science Advances.
Pritchard et al. (2017): Porphyromonas gingivalis interactions with host cells in Alzheimer’s disease. Journal of Alzheimer’s Disease.
Kondo et al. (2015): Association between tooth loss and dementia. Journal of the American Geriatrics Society.
Miklossy et al. (2011): Alzheimer’s disease and spirochetes. Journal of Neuroinflammation.
Ide et al. (2016): Periodontal treatment and cognitive function. Journal of the American Geriatrics Society.
Onozuka et al. (2002): Activation of cerebral circulation during gum chewing. Journal of Dental Research.
